Kwaidan – seltsame Geschichten und Studien aus Japan (1904)

 

Diese wahrscheinlich bekannteste Geschichtensammlung von Lafcadio Hearn wurde erst nach seinem plötzlichen Tod im Jahre 1904 veröffentlicht. Einige Geistergeschichten wurden alten japanischen Büchern entnommen und von Hearn auf seine Weise wiedererzählt; einige sind mündlich überlieferte Geschichten, die er auf seinen Reisen von den Bauern gehört und gesammelt hat.

 

Hoichi der Ohrlose – Eine Geschichte aus der Kwaidan Sammlung (Kurzfassung)

 

„Ein blinder buddistischer Mönch namens Hoichi lebte im Amida Tempel. Der Tempel beheimatete die Geister des Heike Klans, welcher bei der Schlacht von Danno-Ura niederging.

Hoichi war berühmt für seine gesangliche Erzählung der Geschichte der Heikes. Seine Erzähungen begleitete er auf seinem Biwa (japanischem Leier).

 

Eines Nachts saß er alleine im Tempel, als er eine Stimme ihn rufen hörte: „es gibt hohe Menschen, die sich Ihre Erzählungen wünschen, bitte kommen Sie mit.“

 

Hoichi wurde in eine große Halle mit vielen Gästen, Männern und Frauen, gebracht. Er begann seine Erzählungen, und die Gäste hörten ihm gebannt zu. Viele weinten, als er zu der Stelle kam, wo eine Hofdame sich mit dem kleinen Kaiser im Arm ins Meer stürzte.

 

Von nun an ging Hoichi jede Nacht aus dem Tempel. Der hohe Priester, alarmiert von den täglichen Ausgängen von Hoichi, folgte ihm eines Nachts. Zu seiner Überraschung fand er Hoichi auf einem Friedhof vor den Grabsteinen der Heikes, verloren in seinen Erzählungen. Der Priester schauderte, als er sah, wie Hoichi von vielen Irrlichtern umgeben war. 

 

Der Priester verstand, dass Hoichi von bösen Geistern der Heikes aus dem Tempel gelockt wurde, die ihn die Geschichte ihres Niederganges erzählen hören wollten. Besorgt, dass Hoichi sich in Gefahr befand, schrieb der Priester überall auf Hoichi’s Körper buddistische Schutzwörter und riet ihm, still zu sitzen und keinen Laut von sich zu geben, wenn die Geister wieder kämen.

 

Als der Geist kam, konnte er Hoichi nicht sehen - außer den Ohren, die der Priester beim Schutzwörterschreiben übersehen hatte. Der Geist sah sofort, dass Hoichi nun geschützt war. Eine Weile betrachtete der Geist die beiden Ohren, und riss sie weg. Seither ist Hoichi als Hoichi der Ohrlose bekannt.“