Ersteinspielungen
Jan Müller-Wieland (*1966) : Piano Works
Trauma und Rückgrat (2021)
I. Der Elefant im Klavierzimmer (brachial)
II. Flur- und Buschfunk (schwungvoll, freundlich, verlogen), attacca
III. Schockstarre, attacca
IV. Gehversuche (molto cantabile)
V. Gegenwehr I (sammelnd, stürmlichst angstfrei)
VI. Rückschlag und Gegenwehr II (l’istesso tempo, corrente)
Capriccetti 1. Zyklus (1987/88)
I. giocoso
II. leggiero
III. tranquillo
IV. grazioso
V. furioso
VI. maestoso con eleganza
VII. con sentimento
VIII. spontáneo
Capriccetti 2. Zyklus (2014/17)
I. verträumt
II. molto sotto voce, doch voran!
III. –
IV. sempre a tempo, molto preciso
V. innig
VI. diskret, doch ausspielend, aber nicht zu schnell
Jan Müller-Wieland:
„Diese Klaviermusik enthält Tage- und Nacht- „Bücher“, Skizzen, Cartoons, innere Protokolle, böse Träume, angebliches Erwachen, Illusionen und Desillusionierungen, sprich: Aspekte eines
bisher zwar recht vertrauensvollen, doch auch ungesicherten Daseins - dargestellt und festgehalten durch Klang, Konzentration, Reduktion auf das vermeintlich Wesentliche.
Der erste Capriccetti-Zyklus umkreist den Jahreswechsel 1987/88, entwirft Momentaufnahmen in meinem Leben, als ich zu jener Zeit in Lübeck studierte, unmittelbar an der Grenze zur damaligen DDR.
Der zweite Zyklus entstand in Schüben zwischen 2014 und 2017.
Aus Anspielungen, Impulsen wurden (wie von selbst) größere Abläufe, Abgründe. Einmal (im sechsten Stück) involviere ich kurz Wendungen aus einem Tagebucheintrag von Sibelius vom 21. April 1915, in dem er das bildhafte Signal für das Finalthema seiner fünften Symphonie in Worte fasste: „Sah heute zehn vor elf 16 Schwäne…“. Damals lebte Sibelius in seiner heimatlichen, finnischen „splendid isolation“ fernab des ersten Weltkrieges.
„Trauma und Rückgrat“ stenografiert Machtmissbrauch, Vertrauensbruch, den sexuellen Übergriff.
Shoko Kuroe und der #Metoo-Bewegung ist dieses Stück gewidmet.
Die weltweite Wahrnehmung dieser Bewegung hat viele Schleier des Verschweigens weggerissen, sie stärkt demokratisches Bewusstsein und stellt patriarchale Machtausbeutung als „Fluch der Lächerlichkeit“ bloß (siehe Wedekinds viertes Bild in seinem Drama „Musik“).
Offenbart wird das Unrecht, das alle - Frauen, Kinder, Männer - beschädigt, uns in unseren Grundrechten verletzt.“
Shoko Kuroe:
"Unfassbar poetische Musik, die unter die Haut geht. Die Werke von Jan Müller-Wieland strahlen lebensbejahenden Grundoptimismus aus und zeugen vom Urvertrauen in das Gute im Menschen. Bereits beim ersten Kennenlernen seiner Capriccetti bekam ich Gänsehaut und die Faszination wuchs, je intensiver ich mich mit seiner Tonsprache beschäftigte. Ich bin ihm für „Trauma und Rückgrat“ sehr dankbar, dass er ein Werk geschaffen hat, welches ins Schwarze trifft und dem Thema künstlerisch mit viel Herzenswärme und Stärke begegnet. Auch pianistisch sind die Klavierwerke äußerst innovativ und zeigt auf, was mit klassischer Spieltechnik noch möglich ist."